1. September 2022 | Ausgabe 22

Der Chemiker

FIONN FERREIRA (20), Irland

ILLUSTRATION Mina Braun

Illustration: Portrait eines Jungen mit einem Magneten in der Hand und dem Zitat:
Seine Heimat schien Fionn lange Zeit als das Ende der Welt. An der Steilküste von Irland gab es nicht viel zu beobachten außer Wind, Wellen, Wasser – und angespültem Plastik. Wenn der damals 15-Jährige mit seinem Hund India im Kajak die Küste entlangpaddelte, sah er, wie der Müll unaufhörlich an die schroffen Felsen geworfen wurde. Das gefiel ihm nicht. In der Zeitung las Fionn, dass der Plastikmüll mit der Zeit zu immer kleineren Teilen zerfallen würde und sich dann nicht mehr wie eine Flasche oder ein Flipflop ins Kajak einsammeln ließe. Das so genannte Mikroplastik bliebe für immer in unseren Kreisläufen. Es könne so klein werden, dass es vom Wasser in Wolken, in Pflanzen, in Tiere und schließlich auch in unseren Körper diffundieren könne. Er fragte sich, ob es auch bei ihm in West Cork, am Ende der Welt, schon Mikroplastik gibt?
Illustration eines mit Plastikmüll verunreinigten Wasserstromes

Fionn kannte niemanden, der ihm darüber Auskunft geben konnte. Es gab kein Labor und keine Forschungseinrichtung in der Nähe, wo er hätte nachfragen können. Aber er hatte ein paar alte Computerteile, Internet, Lego Technics und beschloss, ein eigenes Spektrometer zu bauen. Die ersten Testläufe waren eine Katastrophe: Manchmal passierte gar nichts, manchmal ging das Gerät in Flammen auf. Als das Spektrometer endlich Ergebnisse zeigte, dachte er: „Oh nein, es funktioniert immer noch nicht – die Ergebnisse zeigen enorme Mengen von Mikroplastik im Wasser an!“ Fionn testete und testete und stellte schließlich fest: Seine Messungen sind richtig. Jedes Wasser, das er zu sich nahm, hatte Mikroplastik in sich. „Ich muss dabei helfen, das Mikroplastik aus dem Wasser zu holen.“
 

Illustration eines Hundes in einem Boot auf dem Wasser
Dem naturwissenschaftlich begabten Jungen gelang mit einfachen Mitteln etwas, das nur wenigen Forschenden bislang gelungen war: eine Methode zu entwickeln, mit der sich überraschend viel Mikroplastik mithilfe von magnetischer Anziehung aus dem Wasser extrahieren lässt. Er nutzt dafür umweltverträgliche Stoffe wie Pflanzenöl und Rostpuder. Als er dafür auf der Google Science Fair 2019 ausgezeichnet wurde, interessierte sich plötzlich die ganze Welt dafür, was ein Junge mit Kajak und Chemiebaukasten da entdeckt hatte. Er lernte immer mehr junge Erfinder:innen auf Konferenzen und Internetplattformen kennen, die sich wie er mit der Rettung aller Enden der Welt beschäftigten. „Du bist niemals zu jung, um einen Unterschied zu machen“, erkannte Fionn. „Es braucht keine drei Doktortitel, sondern vor allem Leidenschaft.“ Mittlerweile studiert Fionn Chemie und hat sein eigenes Start-up „Fionn & Co. LLC“ gegründet, um seine Methode, Mikroplastik aus dem Wasser zu entfernen, noch weiter zu entwickeln und zu vertreiben. Damit das Ende der Welt weiterhin bloß ein einsamer Küstenort in Irland ist – und nicht ein massenhaftes Aussterben durch Umweltverschmutzungen.
 

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