4. April 2025 I Newsletter
3 Fragen an:
Veronika Witte, Künstlerische Leiterin Galerie Nord I Kunstverein Tiergarten

Name: Veronika Witte
Wohnort: Berlin
Alter: 62
Beruf: Künstlerische Leiterin der Galerie Nord | Kunstverein Tiergarten und bildende Künstlerin
Mein liebster Upcycling-Hack: Materialien aufbewahren und für die kulturelle Bildung mit Kindern und Jugendlichen einsetzen. Nach dem Motto von William James Adams: "waste isn’t waste until you waste it".
Mein größter unverzichtbarer Luxus: Manchmal muss ich einfach mal weit weg … mit dem Flieger.
Mein Lieblingsort in Berlin: ist mein Atelier. Ich genieße die Stille und den Blick aus dem großen Fenster auf die ferne Stadt und in den weiten Himmel.
Inspiration finde ich: überall, wenn mein Geist es zulässt. Gute Gespräche und Zugfahren.
Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann ... wäre es der Einsatz eines Sondervermögens für die Kunst und Kultur. Da es sowas wahrscheinlich nie geben wird, wünsche ich mir, dass der Berliner Senat und die zukünftige Bundesregierung die Kürzungen im Kunst- und Kulturbereich zurücknehmen. Sie zerstören Strukturen, in denen Werte wie Respekt, Freiheit, die Akzeptanz des anders Denkenden und Sehenden stetig neu geübt werden. Sie verursachen einen tiefgreifenden Schaden für die Stadt Berlin, das Land und für das demokratische Denken und Handeln. In unserer komplexen Welt ist die Auseinandersetzung mit Kunst ein Instrument der Weltgestaltung und ihre Vermittlung darüber hinaus ein Bildungsauftrag, der Kindern und Jugendlichen neben dem Wissen, eigenständiges Denken, Widerstandskraft und Selbstbewusstsein vermittelt. Kultur ist und war der Grund, warum so viele Menschen Berlin besuchen und damit ein enormer Wirtschaftsfaktor.
Du warst Mitglied der Jury des RecyclingDesignpreises. Gibt es unter all den Einreichungen einen Beitrag, der dich besonders beeindruckt hat?
Der Recycling-Designpreis ist eine der wichtigsten Plattformen für nachhaltiges, innovatives Design und der Open Call zur 11. Ausgabe des Wettbewerbs beweist wieder mit über 400 internationalen Einreichungen eindrucksvoll, wie sich Kreislaufwirtschaft, Re- und Upcycling als zentrale Strategien für ressourcenschonendes Gestalten etablieren.
Jedes Mal lerne ich viel über Kreislaufwirtschaft, ungewöhnliche Materialforschungen und über die Kraft der Kreativität, ohne die es keine Entwicklungen gäbe. Aus den hochwertigen, durchdachten und innovativen Einreichungen eine Auswahl zu treffen, war für die neunköpfige ehrenamtliche Jury nicht einfach und hat zu spannenden Diskussionen geführt – über die Balance zwischen dem Wert der Nachhaltigkeit, der innovativen Kraft der Idee, der gestalterischen Form und der Wirtschaftlichkeit. All das verbinden die vier Preisträger:innen. Daneben gibt es aber auch bemerkenswerte Beiträge zu sehen, wie ein Schreibset aus der Materialverbindung aus getrocknetem Blut und Holzmehl. Eine Wiederentdeckung der Methode des „Bois Durci“. Dies ist ein natürlicher Kunststoff, der Mitte des 19. Jahrhunderts in Frankreich erfunden und zur Herstellung dekorativer, luxuriöser Gebrauchsgegenstände verwendet wurde. Heute wirft dieser ambivalente Werkstoff viele Fragen auf, denn er verweist mit seiner dunklen, lackartig schönen Oberfläche auf die Tonnen des jährlich verschwendeten Tierblutes der Massentierhaltungsindustrie, die jeglicher Nachhaltigkeit entbehrt.
Die Galerie Nord I Kunstverein Tiergarten stellt in einer Ausstellung die Preisträger:innen und noch 23 weitere Arbeiten vor. Was bekommen die Besucher:innen zu sehen?
Die Bandbreite der Exponate geht von der Entwicklung von Möbeln, Alltagsgegenständen, über experimentelle Modeentwürfe bis zu außergewöhnlichen Materialforschungen und sozialer Interaktion. Und alle werden gemeinsam in einem nachhaltigen, speziell für diesen Preis gestalteten Ausstellungsdisplay präsentiert. Neben den tollen Preisträger:innen, die diese Kriterien in unterschiedlicher Ausprägung erfüllen, gibt es weitere ungewöhnliche Einreichungen wie Kleiderbügel aus Textilstaub in Wäschetrocknern oder ein poppiges Sofa aus weggeworfenen Matratzen. Die Ausstellung mit den ausgewählten Beiträgen ist überraschend und lehrreich, indem sie nicht nur nachhaltige Alternativen aufzeigt, sondern auch neue Perspektiven für die Gestaltung unserer Umwelt und unseres Miteinanders eröffnet … und was sehr wichtig ist: Sie macht viel Spaß.
Zur Ausstellung gehört auch ein Begleitprogramm. Was möchtest du als Künstlerische Leiterin damit konkret erreichen?
In Zeiten von Lieferketten-Nachweispflichten und der inflationären Verwendung des Begriffs der Nachhaltigkeit kann man schon mal die Orientierung verlieren. Das Begleitprogramm aus Führungen, Kleidertauschbörse, Ping-Pong DIY-Workshop für Schüler:innen oder dem Vortrag zum nachhaltigen Ausstellungsdesign zeigt, dass Nachhaltigkeit eine gestalterische Herausforderung ist und gleichzeitig Spaß machen kann. Wir versuchen deshalb bei uns selbst zu beginnen und gemeinsam zu lernen. Die Veranstaltungen regen Interessierte und Schüler:innen dazu an, den Wert von Ressourcen neu zu denken und Design als treibende Kraft für gesellschaftlichen Wandel zu begreifen.
Wann: 4. April bis 31. Mai 2025 I Di – Sa: 11:00 bis 19:00 Uhr I Eintritt frei
Wo: Turmstraße 75 I 10551 Berlin-Moabit