1. September 2023 I Ausgabe 23
Transformation ist ein Tanz
Jacob Sylvester Bilabel gründete nach Stationen bei Universal Music und MySpace USA im Jahr 2009 die Green Music Initiative (GMI), eine paneuropäische Denkfabrik zur Förderung einer klimaverträglichen und zukunftsfähigen Musik- und Entertainmentbranche. Er ist Mitglied des Ausschusses für die Kreativwirtschaft der IHK Berlin und berufener Experte des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes.
Seit Sommer 2020 leitet er das von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) geförderte "Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit" als zentrale Anlaufstelle für das Thema Betriebsökologie in der Kultur.
Herr Bilabel, Kultur und „Betriebsökologie“ wirken auf den ersten Blick wie die beiden Freunde, die man nie zusammen auf eine Party einladen würde …
Auf den ersten Blick ist das sicher so: Kultur ist Überfluss, ist die Maximierung von allem. Nachhaltigkeit, das heißt für viele immer noch vor allem eines: sparen. Nachhaltigkeit wird gleichgesetzt mit Effizienz. Und wenn man Nachhaltigkeit so begreift, dann passt sie tatsächlich nicht mit Kultur zusammen. Genau das ist die Frage, die mich jetzt seit Jahren beschäftigt: Wie können wir Nachhaltigkeit und Kultur vereinbaren – ohne diesen klassischen Effizienzgedanken?
Wie sieht die Lösung aus?
Zunächst muss man sich von dem Narrativ verabschieden, dass Nachhaltigkeit keinen Spaß machen darf. Das gemeinsame Bauen einer Zukunft macht wahnsinnig viel Spaß! Und ich bin fest überzeugt, dass Menschen nicht deshalb auf Festivals oder Konzerte gehen oder in einem Club tanzen, um die Realität zu vergessen. Im Gegenteil: Sie erinnern sich daran, wie „Zusammensein“ eigentlich sein kann. Und genau hier kann Kultur ansetzen: Sie kann Angebote für nachhaltige Alternativen machen, die Spaß machen und vielleicht sogar besser funktionieren, statt einfach nur Verbote auszusprechen. Und das ist viel mehr wert als jede Informationskampagne.
Die Coronapandemie hat die Kulturszene in eine Zwangspause versetzt. Was entgegnen Sie Menschen, die jetzt sagen: „Ging ja auch mit weniger. Macht doch einfach so weiter – und schon seid ihr nachhaltig!“
Erst mal entgegne ich: Das stimmt nicht. Corona hat nicht gezeigt, dass es mit weniger geht. Ich würde sagen: Corona hat geholfen zu verstehen, was wir brauchen, um uns menschlich zu fühlen. Und ja: Ich glaube auch, dass man die Suffizienzfrage stellen darf. Aber: „Weniger“ ist nicht die Lösung für alles. Es greift zu kurz, einfach Vorstellungen ausfallen zu lassen oder ein Museum einen Tag weniger zu öffnen. Das heißt nicht, dass wir uns nicht kritisch anschauen sollten, wie viel Kultur wir produzieren, die vielleicht gar nicht mehr rezipiert werden kann. Die eigentliche Lösung aber liegt aus meiner Sicht darin, Kultur anders zu machen. Der Gang der Welt fordert die Kultur zum radikalen Wandel auf. Und streng genommen uns als Gesellschaft im Ganzen.
Wie kann dieses „anders“ konkret aussehen? Welche Hebel hat denn die Kultur, um etwas zu verändern?
Die größten Hebel sind Energieverbrauch, Mobilität und Ressourcen. Nicht alles davon liegt allerdings im direkten Einflussbereich der Kulturschaffenden. Zum Beispiel kann ein Konzerthaus oder ein Museum nur bedingt beeinflussen, wie Menschen zu ihren Veranstaltungen anreisen. Klar, sie können Fahrradparkplätze nsere Städte für Autos gemacht sind. Das heißt: Die Kultur kann sich verändern, kann nachhaltiger werden. Aber gleichzeitig ist sie darauf angewiesen, dass die Politik die Strukturen schafft, damit unsere Gesellschaft, unser Alltag, unsere Mobilität nachhaltiger werden.
Das Aktionsnetzwerk hat deutschlandweit derzeit 50 Projektpartner – welche Voraussetzungen müssen die teilnehmenden Institutionen erfüllen?
Wir sind, wie der Titel sagt, ein Netzwerk der Aktiven. Absichtserklärungen reichen uns nicht. Vielmehr müssen die Kultureinrichtungen, die bei uns an Bord sein wollen, wirklich etwas tun – und diese Pilotprojekte so dokumentieren, dass andere davon lernen können. So wollen wir Akteur:innen im kulturellen Sektor dabei unterstützen, mit den Herausforderungen der Klimakrise umzugehen, und dazu beitragen, den Ausstoß an Klimagasen bis 2030 um 65 Prozent zu reduzieren.
Wie messen Sie Ihre Erfolge?
Ein wichtiges Werkzeug sind Klimabilanzen. Wir haben bisher 260 Klimabilanzen errechnet, die genau aufschlüsseln, wie der CO2-Fußabdruck der Einrichtungen im Bereich Ressourcen, Mobilität und Energie aktuell aussieht. Daran werden wir all unsere Aktivitäten in Zukunft messen. Ein zweiter Indikator sind die Kompetenzen, die wir vermitteln. Denn strategisches Umweltmanagement kann man nicht nebenbei „miterledigen“. Und so läuft es doch heute noch vielerorts, wenn man ehrlich ist: Wir nehmen eine gesamtgesellschaftliche Generationenaufgabe und hängen sie denjenigen um, die doof genug waren zuzugeben, dass sie sich für das Thema Nachhaltigkeit interessieren. Als „Hobby“ zusätzlich zum eigentlichen Job. So funktioniert das nicht. Deshalb haben wir 2021 gemeinsam mit der IHK Köln und der Energieagentur.NRW ein Curriculum entwickelt und bereits 210 Menschen zu „Transformationsmanager:innen Nachhaltiger Kultur“ weitergebildet.
Bewusst provokant gefragt: Wird uns das wirklich retten, wenn wir die deutsche Kulturlandschaft nachhaltig aufstellen? Der CO2-Fußabdruck der Kultur ist doch im Vergleich zu anderen Branchen eher gering.
Fragen dieser Art bekommt man häufig zu hören, wenn man sich im Bereich Nachhaltigkeit engagiert. „Bringt das eigentlich was, was ihr da macht?“ Für mich steckt dahinter eine bedenkliche Haltung.
Inwiefern?
Wir wissen doch eigentlich alle schon seit mindestens 15 Jahren, dass wir dringend handeln müssen. Dass es so, wie es jetzt läuft, nicht mehr weitergehen kann. Trotzdem machen die meisten nichts oder wenig und hoffen, dass es schon irgendwie gut ausgehen wird. Und dieser innere Widerspruch, also das Wissen um die nahende Katastrophe und die gleichzeitige eigene Untätigkeit – das ist ein unangenehmer Zustand, der schwer auszuhalten ist. Um diesen inneren Widerspruch aufzulösen, reden sich einige Menschen dann ein, dass es ja eh nichts bringt, wenn man im Kleinen etwas tut. Und diese Zweifel, die ja total nachvollziehbar sind, projizieren sie dann auf die Engagierten.
Was antworten Sie darauf?
Dass ich auch nicht weiß, ob unser Engagement uns retten wird. Aber dass das auch erst mal egal ist. Und dass ich es trotzdem versuchen will.
Müssen Sie viel Überzeugungsarbeit bei Kulturinstitutionen leisten?
Nein, das ist nicht unser Fokus. Wer bei uns mitmachen will, kommt auf uns zu. Wir sind ein „Klub der Willigen“. Wir können und wollen nicht auf die warten, die aus Gründen, die ich gar nicht bewerten will, nicht können, nicht wollen, nicht dürfen oder was auch immer.
Wie sieht es mit dem Publikum aus, den Besucher:innen von kulturellen Veranstaltungen? Wollen Sie die mit Ihrer Arbeit erreichen?
Auf jeden Fall. Wir forschen zu verschiedenen Fragen im Bereich der Verhaltensökonomie und eine der wichtigsten Fragen ist, wie sehr man die Besucherinnen und Besucher einbinden sollte – und welche Wege wirklich funktionieren. Maximale Aufklärung zum Beispiel funktioniert nicht.
Aufklärung ist nicht wichtig?
Nicht so wichtig, wie viele denken. Manche sind ja der Meinung: Wenn wir etwas nur genau genug erklären, zum Beispiel, warum wir die Energiewende brauchen, dann werden die Menschen auch ihr Verhalten ändern. Denn schließlich sind wir ja vernunftbegabte Wesen. Leider ist meine Erfahrung, dass es so einfach nicht ist.
Können Sie das anhand eines Beispiels erläutern?
Ich habe lange mit Festivals zusammengearbeitet. Ein großes Thema war immer Müll: Zwar erzeugen die Menschen auf einem Festival nicht unbedingt mehr Müll, als sie es zu Hause im selben Zeitraum machen würden, aber dieser Müll wird eben wahnsinnig sichtbar auf der begrenzten Fläche eines Festivals. Und natürlich ist es ein spezielles Problem, wenn zum Beispiel Heringe von Billigzelten im Boden verbleiben oder eine Wiese übersät ist von giftigen Kippen. Nun, wir haben hier einen kleinen Test gemacht: Auf einem Teil des Geländes haben wir ganz klassische Aufklärungsarbeit geleistet und die Abfallbehälter beschriftet und erklärt, warum es wichtig ist, den Müll nicht liegen zu lassen und ihn zu trennen. 50 Meter weiter haben wir die Abfalleimer einfach schön bunt gestaltet und Smileys drauf gepackt. Und jetzt raten Sie mal, wo am Ende mehr getrennter Müll war?
Wenn Sie so fragen: in den bunten?
Richtig. Und das zeigt uns doch: Menschen wollen nicht Teil des Problems sein, sie wollen Teil der Lösung sein. Also muss unsere Botschaft lauten: Das ist richtig geil, wenn du das wegschmeißt! Wir müssen den Moment des Wegschmeißens mit Spaß verbinden.
Was heißt das, übertragen auf Ihre Arbeit im Aktionsnetzwerk?
Wir wollen mit unseren Mitgliedern Angebote entwickeln, bei denen die Besuchenden Teil der Lösung sein können. Nicht problematisieren und sagen: „Also, ihr wisst schon, dass ihr mit eurer Anreise soundsoviel Gramm CO2 verursacht?“ Sondern sagen: „Hey, es gibt hier ein Problem, aber das bekommen wir zusammen gelöst.“ Das könnte zum Beispiel sein, dass die Kulturschaffenden den Besucher:innen ein tolles Angebot machen und ihnen, wenn sie mit der Bahn oder dem Rad zur Oper anreisen, eine eigene Garderobe zur Verfügung stellen, in der sie sich schick machen können – und später bekommen sie an der Bar ein Freigetränk oder bessere Plätze im Saal zu einem vergünstigten Preis. Zusammengefasst: Wie können wir nachhaltigeres Verhalten erleichtern oder vielleicht sogar belohnen? Im Aktionsnetzwerk experimentieren wir genau mit solchen Lösungen und probieren verschiedenste Wege aus.
Ist Ihr beruflicher Alltag manchmal entmutigend?
Natürlich, 24-mal am Tag. Aber so ist das Leben eben. Nicht alles, was man sich vornimmt, kann man mit einem guten Plan erreichen. Diese 1:1-Logik von wegen „mache ich a, passiert b“ gilt in unserer Arbeit nicht. Transformation ist wie ein Tanz. Du gehst einen Schritt nach vorne, zwei zurück, mal einen zur Seite, dann wieder nach vorne. Um etwas zu erreichen, muss man da ein bisschen locker in der Hüfte bleiben und nicht immer darum kreisen, was alles schlecht ist. Lasst uns doch stattdessen vorstellen, dass es besser wird. Ich mag in diesem Zusammenhang den Spruch: „Es kann auch nach vorne losgehen!“
Schlussfrage. Hat das Aktionsnetzwerk eine Vision?
Unsere Vision ist, dass es einen Moment geben wird, wo wir es geschafft haben. Wo das, was sich jetzt noch ultrakompliziert und manchmal unmöglich anfühlt, eine Form von Standard und selbstverständlich geworden ist. Und von dieser Vision aus denken wir jetzt rückwärts und überlegen, welche Schritte wir gehen müssen, damit sie Wirklichkeit wird.