1. September 2023 I Ausgabe 23

Wind of Change

Katrin Wipper und Sarah Lüngen wollen mit ihrer Agentur „The Changency“ Festivals, Konzertveranstalter:innen, Cateringfirmen und Bands dabei unterstützen, sich nachhaltiger aufzustellen.

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Foto: David Freudenthal / ressourcenmangel
Zwei Augenpaare treffen sich, suchen sich immer wieder – und ohne, dass auch nur ein Wort darüber verloren wird, ist klar: Dies ist der Anfang von etwas Neuem, von etwas Bedeutsamen. Was klingt wie der Beginn einer großen Liebe, ist die Kennenlerngeschichte von SARAH LÜNGEN UND KATRIN WIPPER. Die beiden begegnen sich in einem Video-Call der Umweltschutzgruppe „Music Declares Emergency“. Es funkt sofort, freundschaftlich-beruflich. Und bei beiden macht sich eine Erleichterung breit: „Ich dachte: Endlich hab ich jemanden gefunden, mit dem ich gegen mein Gefühl der Ohnmacht angehen kann“, erinnert sich Katrin Wipper, die studierte Dolmetscherin ist und jahrelang als Bookerin für internationale Künstler:innen arbeitete. Ihr gemeinsames Ziel: Die Musikindustrie fairer und grüner gestalten – und auf großer Bühne zeigen, dass Nachhaltigkeit und Party zusammenpassen. Ihr erster Streich: Sie holen sich die Band SEEED ins Boot und wagen 2021 mit Unterstützung der Berliner Hochschule für Technik ein Experiment. Sie nutzen fünf SEEED-Shows in der Berliner Wuhlheide, um systematisch Daten darüber zu sammeln, welchen Einfluss ein großes Live-Musikevent tatsächlich auf die Umwelt hat (mehr auf S. 16/17). 
 

Bereits während dieses erste gemeinsame Projekt Formen annimmt, gründen Katrin Wipper und Sarah Lüngen „The Changency“ – eine Agentur, die Festivals, Konzertveranstalter:innen, Cateringfirmen und Bands dabei unterstützen will, sich nachhaltiger aufzustellen. Das Konzept kommt an, bereits etwa 30 Projekte haben die Jungunternehmerinnen betreut. Für ihre Kund:innen nehmen sie Prozessanalysen vor, entwickeln Veranstaltungskonzepte und vermitteln in Workshops zum Beispiel Wissen darüber, wie man Tourneen ressourcenschonend gestaltet oder wie ein nachhaltiger Merch-Stand aussieht. Dabei legen sie großen Wert auf eine positive Botschaft: „Wir gehen nicht hin und sagen: So, wie ihr es bisher gemacht habt, war das Mist. Wir wollen zur Veränderung ermutigen und ermächtigen“, sagt Sarah, die Diplom-Biologin ist und stundenlang über forensische Insektenkunde fachsimpeln könnte. Die Vision der Gründerinnen: „Die Festivals der Zukunft sollten so gestaltet sein, dass sich Besucher:innen gar nicht nichtnachhaltig verhalten können“, meint Katrin Wipper.

95% der Konzertbesucher:innen wollen nachhaltiges und fair gehandeltes Merchandise.

Diese „neue Normalität“ sähe dann beispielsweise so aus, dass Festivalbesucher:innen mit einem kleinen Tagesrucksack anreisen, da sie die gesamte Infrastruktur vor Ort vorfinden. Das Festival wäre mit dem Zug gut erreichbar, die Feiernden würden kein billiges „Einweg-Zelt“ nutzen, sondern vor Ort eines mieten. Die ausreichend vorhandenen Sanitäranlagen wären ökologisch verträglich gestaltet, am Merch-Stand gäbe es fair gehandelte Band-Shirts und an den Essensständen nur Regionales in Bioqualität, vorzugsweise rein pflanzlich und natürlich in Mehrwegbehältnissen. Und auch die Bühnentechnik fiele nicht jedes Jahr bombastischer aus: „Die Devise ‚höher, schneller, weiter‘ ist nicht mehr angemessen“, so Katrin Wipper. Dem Spaß, da ist sich Sarah Lüngen sicher, täte solch ein ökologisch verträgliches Konzept keinen Abbruch: „Ich gehe ja nicht auf ein Festival, um endlich mal einen Becher ins Gebüsch zu schmeißen. Es geht um das Gemeinschaftserlebnis.“ Genau deshalb hält sie auch wenig davon, den Wert von Musikveranstaltungen ausschließlich an ihrem CO2-Fußabdruck zu bemessen: „Musik bringt Menschen zusammen. Und genau diesen Kitt braucht unsere Gesellschaft heute mehr denn je.“