Damit versucht Fandli einen Widerspruch aufzulösen: Einerseits gelten Plastikverpackungen bei 90 Prozent der Befragten einer Studie des BUND als größte Umweltsünde. Seit den weltweiten Protesten von „Fridays for Future“ dringen die Warnungen vor den katastrophalen Folgen unseres Konsumverhaltens bis in jeden Haushalt vor. Gleichzeitig erscheint ein Leben ohne Verpackungen als aufwändig, unbequem, unmöglich. Eine riesige Kluft tut sich auf zwischen einem ökologischen Bewusstsein und einem unökologischen Dasein. Warum wollen wir so viel Gutes – und hinterlassen so viel Schlechtes? Müssten wir nicht längst anders leben?
Schuld ist der Rebound-Effekt, sagen Verhaltensforscher, zu Deutsch: der Rückschlag-Effekt. Der Begriff stammt aus der Energiewirtschaft, passt aber auch für die Kreislaufwirtschaft. Er besagt, dass ein gesteigertes Bewusstsein oder eine effizientere Technologie nicht dazu führen, dass weniger verbraucht wird. Im Gegenteil: Wenn wir an einigen Stellen unseres Alltags umweltfreundliche Alternativen wie zum Beispiel Mehrwegbecher nutzen, fühlen wir uns an anderer Stelle legitimiert, auch mal zu sündigen. Forschungen am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung belegen, dass Menschen, die zum Beispiel ihr Haus klimaneutral saniert haben, dafür öfter in den Urlaub fliegen. Auf die Klimabilanz wirkt sich dieses Verhalten umso stärker aus. Das, was mit kleinen Verhaltensweisen eingespart wird, kommt wie ein Bumerang an anderer Stelle umso heftiger zurück.
„Ich bin kein Plastikfeind“, sagt Tim Wehrmeyer über sich selbst, „aber ein Fan von Logistik.“ Wie wir einkaufen und konsumieren, das erscheine ihm einfach nicht logisch, da sträube sich der Betriebswirtschaftler in ihm: „Herkömmliche Supermärkte sind nicht effizient: Die Ware wird ausgeladen, eingeräumt, dann vom Kunden wieder ausgeräumt, auf die Kasse gelegt, dann wieder in den Wagen, dann nachhause und dort wieder eingeräumt. Und alles ist in Plastik verpackt. Das ist einfach unlogisch.“ Mit Fandli will er nicht nur diese Schritte einsparen, sondern auch den dabei anfallenden Plastikmüll. Seit er sich näher mit der Verpackungsindustrie beschäftigt, kämen ihm viele Produkte absurd vor: „Als ich anfing, Erdnüsse in 10-kg-Säcken aus Papier zu bestellen, und dann an der Tankstelle diese kleinen 100-Gramm-Tüten sah, die alle einzeln verpackt sind, ahnte ich, was für einen Unterschied ich mit Fandli machen kann.“
Im März dieses Jahres gründete er Fandli. Während Corona viele junge Unternehmen in die Krise stürzte, hatte Wehrmeyer Glück: Kurz zuvor hatte er versehentlich viel zu viel Mehl bestellt. Als sich die Supermarktregale leerten, lieferte er. Er hofft, damit auch neue Kunden auf den Geschmack gebracht zu haben. Die Menschen zu motivieren, ihr Einkaufsverhalten umzustellen, das sei die größte Herausforderung. Obwohl viele seiner Kunden erzählen, umweltbewusster leben zu wollen, scheitere dieser Vorsatz oft an den Routinen des Alltags. Einen Extra-Aufwand zu betreiben, im Internet nach Alternativen zu suchen – dazu seien nur wenige bereit. Auch in seinem Freundes- und Familienkreis musste er die Skepsis gegenüber seiner Idee aushalten. „Wir sind eben Bequemlichkeitstiere“, sagt er, „die Masse muss man mit Angeboten erreichen, die genauso bequem sind wie das Gewohnte und noch dazu weitere Vorteile bieten.“
LIFESTYLE MIT NEBENWIRKUNGEN
Besonders in der Verpackungsindustrie siegt die Bequemlichkeit der Verbraucher immer wieder über ihr Gewissen. Streetfood, Online-Shopping und Lieferservices sind fester Bestandteil eines Lebensgefühls. Auch im herkömmlichen Supermarkt werden in Plastik verpackte Produkte nach wie vor als Standard angeboten. Plastik ermöglicht einen Lifestyle, der für Unabhängigkeit, Freiheit und Flexibilität steht. Mit verheerenden Folgen: Laut Plastikatlas 2019 fallen in Deutschland pro Kopf jährlich 38,5 kg Plastikverpackungen an – das sind 5,2 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle, von denen nur 15,6 Prozent recycelt werden. Die restlichen Verpackungsabfälle aus Plastik werden zur Energiegewinnung verbrannt oder ins Ausland exportiert. In Deutschland bleibt also kein Müll sichtbar übrig. Wir erliegen der Illusion, dass, wer seinen Müll ordentlich trennt, mit der wachsenden Plastikflut nichts zu tun hat. Auch hier schlägt der Rebound-Effekt zu: Wir fühlen uns als Recyclingmeister nicht verantwortlich für die gewaltigen ökologischen Schäden durch Kunststoffe.
Dass sich Lebensmittel sehr wohl über Pfandverpackungen verkaufen lassen, zeigt sich bereits in der Getränkeindustrie. Dort haben sich Kundinnen und Kunden daran gewöhnt, kastenweise Getränke einzukaufen und die Behältnisse dann zurückzubringen. Im allgemeinen Bewusstsein hat sich außerdem festgesetzt, dass Bier aus Glasflaschen besser schmeckt als aus einer Plastikflasche.