1. September 2022 | Ausgabe 22

HOW DARE YOU?!

Seit einigen Jahren tauchen in der Klimabewegung besonders viele junge Held:innenfiguren auf. Wieso ist das so?

TEXT Clara Bergmann | ILLUSTRATION Linda Lee Wölfel
Bildercollage, die Natur- und Umweltkatastrophen darstellt.

Ein Mädchen mit grauer Wollmütze und schwarzer Rettungsweste presst sich angstvoll gegen die kargen Metallwände einer Segelyacht. Sie weiß kaum, wo sie sich festhalten soll in diesem Ding und in diesem Unwetter, das sie auf den unwägbaren Wellen des Atlantiks hin und her wirft. Das Kind umklammert ihr neongrünes Telefon, als wäre es der letzte Anruf mit ihrem Vater in Schweden. Sie weint, sie möchte nachhause. Aber das kann sie nicht. Sie hat ihr gewohntes Schul- und Familienleben aufgegeben und fährt mit einem Profisegler in einem klimaneutralen Segelboot zum UN-Klimagipfel 2019 nach New York. Sie will vorbildlich sein, keine CO2-Emissionen erzeugen. Kurz vorm Hafen von New York kommen ihr andere Yachten zur Begrüßung entgegen, am Ufer jubeln Menschen. Die damals 15-Jährige ist längst kein normales Mädchen mehr, sie ist die bekannteste Umweltaktivistin der Welt mit einer klaren Botschaft: Politiker:innen sollen die Klimakatastrophe als die größte Bedrohung der Menschheit wahrnehmen – und sich an die auf Klimakonferenzen verhandelten Vereinbarungen halten.

Greta Thunbergs Aufstieg zur Ikone der aktuellen Klimabewegung wurde in tausenden Porträts, Filmen, Büchern, Podcasts, Gesprächsformaten und Texten besprochen. Ihre Geschichte gleicht einer Held:innensage: Wie sie mit ihrem Pappschild im August 2018 allein vor dem schwedischen Parlament saß und die Schule schwänzte, wie sich immer mehr junge Menschen zu ihr setzten, wie sich jeden Freitag auf den Straßen von Schweden, Deutschland, England, Belgien, schließlich der ganzen Welt Jugendliche mit Pappschildern zum Klimastreik trafen. Wie Fridays for Future (FFF) nicht nur ein Hashtag im Internet, sondern eine wirkmächtige Bewegung von protestierenden Schüler:innen wurde. Am 15. März 2019 traten etwa eine Million junge Menschen in den ersten globalen Klimastreik, ein halbes Jahr später mobilisierte FFF zur Global Week for Future bereits sechs Millionen. In fast allen Ländern der Welt traten eloquente und informierte Kinder und Jugendliche an die Mikrofone und forderten die Einhaltung der Klimaziele von Paris und Kopenhagen sowie globale Klimagerechtigkeit. „Generation Greta“ übertitelte der bekannte Jugendforscher Klaus Hurrelmann (siehe Interview) ein Buch über die nach der Jahrtausendwende geborene klimaaktivistische Generation – als wäre ein ganzer Jahrgang so kämpferisch wie sie. Aber ist diese Jugend wirklich so viel held:innenhafter als die Vorgängergenerationen? Das fragte sich auch der schwedische Politikwissenschaftler Joost de Moor, der mit seinem Team insgesamt 5.000 Interviews mit Protestierenden in 25 Städten in Europa, Australien und den USA geführt hat. Dabei fiel ihm auf, dass die jungen Aktivist:innen von FFF und Extinction Rebellion (XR) durchweg hochgebildet sind. Viele hätten engagierte Akademiker:innen-Eltern, die sie schon früh für Umweltthemen sensibilisiert und politisiert haben. Es scheint, als seien die Kinder keine überraschend aufgetauchte Held:innengeneration, sondern im Gegenteil: Sie setzen das Erbe ihrer Eltern fort. Die Jugend, die heute auf der Straße steht, ist nicht die erste, sondern mindestens die zweite Generation von Klimaaktivist:innen. Allerdings sind sie weniger exklusiv in der Öko-Nische unterwegs, sondern adressieren bewusst die Massen. Auch ihre Formate – Demonstrationen, Streiks, Blockaden – sind in der Klimabewegung ein alter Hut. Man erinnere sich an die Anti-Atomkraft-Bewegung ab den 70er-Jahren, in denen das Aufhalten des Castor-Transportes für viele Linke ein regelrechter Familienausflug ins schöne Wendland war. „Es spricht wenig dafür, dass sich die heutigen Aktivist:innen von FFF und XR in irgendeiner Form von anderen Klimaaktivist:innen unterscheiden“, schlussfolgert de Moor in seiner Studie. Aber durch eine frühe Politisierung sind die Gretas offenbar bereits als Kinder und Jugendliche in der Lage, sich für ihre Anliegen einzusetzen. Sie haben von klein auf gelernt, was freie Meinungsäußerung, politische Partizipation und klimabewusstes Handeln bedeuten.

Und trotzdem gibt es Einschränkungen. Denn wie bei allen Protestbewegungen zählt auch nur ein geringer Teil der nach 2000 Geborenen zu den Vorkämpfer:innen für das Klima. In der großen Stern-Jugendstudie 2022 rangiert das Thema Umweltschutz ganz am Ende der Prioritätenskala – weit hinter Gesundheit, Familie und Sicherheit. Auch andere Studien und Befragungen mit Jugendlichen aus den Vorjahren haben gezeigt, dass junge Menschen zwar FFF und Greta Thunberg kennen, jede:r vierte auch schon mal auf einer Klimademo war. Aber insgesamt sind die Millennials deutlich weniger kämpferisch grün, als es der Titel „Generation Greta“ suggeriert. Woher kommt also dieses Gefühl, einer rebellischen Held:innengeneration gegenüberzustehen?

Um das zu verstehen, muss man sich anschauen, wer die Heroisierung vorantreibt. Zum einen sind das Medien und Verlage – gar nicht aus einem bestimmten ideologischen Kalkül heraus, sondern weil Menschen gern Held:innengeschichten lesen oder hören. Jesus, Odysseus, Harry Potter – auf dem Erzählschema der so genannten „Held:innenreise“ ist die gesamte menschliche narrative Zivilisation aufgebaut. Ein junger Held – oder mittlerweile auch immer mehr junge Heldinnen – macht sich auf den beschwerlichen Weg, die Welt vor Unheil und Untergang zu befreien, er oder sie stößt auf Hindernisse, findet Gefährt:innen, erreicht Teilsiege, erträgt Rückschläge und muss sich letztlich selbst opfern, um die Menschheit zu befreien. Es sind jene Geschichten, von denen wir als „erzählende Affen“ nicht genug bekommen können, weil sie den Helden und die Heldin in uns ansprechen, der oder die nicht sinnlos das Leben verstreichen lässt, sondern mit seinem oder ihrem Sein und Wirken die Welt verändert.

Die Kinderikonen brauchen keine Bewunderung – sondern ein konsequentes nachaltiges Handeln von uns allen.


Zum anderen eignen sich Konzerne, Organisationen und Menschen den Held:innenmythos der Kinder an, um davon zu profitieren. Beispielsweise hat der auch in dieser Ausgabe des TrenntMagazins porträtierte junge Erfinder Fionn Ferreira einen Werbevertrag mit dem Computerhersteller HP unterschrieben. In einem Werbespot sitzt er zusammen mit weiteren jugendlichen Hoffnungsträger:innen lachend vor aufgeklappten Rechnern im Kinderzimmer und programmiert eine neue Zukunft. In der Werbung laufen sie alle fröhlich der Zukunft entgegen. Plötzlich wird möglich, was so lange als unmöglich galt: Bildung macht Spaß, eine schwarze Frau wird Präsidentin, schmelzendes Eis findet wieder zu Eisblöcken zurück. Die Botschaft, die der Konzern mit seiner Werbung in die Welt gibt: Zum Glück gibt es diese jungen Menschen, die uns retten (und natürlich die Computer mit Ozeanplastikverkleidung). Wer sich als junger Mensch heute für Klimagerechtigkeit einsetzt, dem schlägt eine gewaltige Solidarität entgegen: Konzerne laden Kinder als „Speaker“ zu sich in die Firmenzentralen ein (und machen dann business as usual), Politiker:innen schütteln den Aktivist:innen anerkennend die Hände (und beschließen trotzdem keine weitreichenden Klimaschutzgesetze), Prominente bekunden in Interviews ihre Bewunderung für die Klimaheld:innen (und fliegen trotzdem weiter mit dem privaten Jet). Indem sich die Reichen und Mächtigen scheinbar demütig von rebellischen Kids rhetorische Lektionen erteilen lassen, können sie die eigene Schuld und Scham abbauen, die sie angesichts der Klimakatastrophe überfällt.

Und noch eine Gruppe treibt die Heroisierung von Greta Thunberg und anderer junger Aktivist:innen voran – nämlich Klimaskeptiker: innen. Beispielsweise kritisiert der Cicero-Autor Norbert Bolz die „Herrschaft der Kindsköpfe“, unter die sich plötzlich alle unterordnen sollen, als regelrechte Zumutung in seiner Ordnung der alten männlichen Welterklärer. Die Welt-Autorin Susanne Gaschke empfindet es als unerträglich, wie Kinder durch den Zeitgeist momentan regelrecht zum Rebell:innentum aufgefordert werden, obwohl der Klimawandel vielleicht ja doch gar nicht sooo schlimm ist, wie sie glaubt. Und der neurechte Publizist Sebastian Sigler bemitleidet die kleine Greta paternalistisch dafür, dass sie von einer fanatischen Öko-Linken instrumentalisiert werde. „Das Kind Greta“, zitiert Sigler zustimmend einen seiner Leser:innen, „diese ‚Greta Pippi Langstrumpf‘ habe alles, um das Zeitalter einer Öko-Religion beginnen zu lassen: die Geschichte, die Zöpfe, den ‚Ernst‘, den bedingungslosen Fanatismus und die Strahlkraft einer überzeugten ‚Heiligen‘.“ Die Kinder werden für die Klimaskeptiker:innen zum Beleg dafür, dass wir es nicht wirklich mit einem menschengemachten Klimawandel zu tun haben, sondern letztlich mit einem neuen Totalitarismus.

Als Greta Thunberg im September 2019 in New York von dem Segelboot steigt, tritt sie mit bitterem Gesicht vor die Weltöffentlichkeit. All den Klimaskeptiker:innen, den Politiker:innen, all den Unternehmen, Medien und Organisationen, die sie als Ikone glorifizieren, stellt sie sich wütend entgegen: „ Das ist alles falsch. Ich sollte nicht hier sein. Ich sollte auf der anderen Seite des Ozeans wieder in der Schule sein. Doch ihr sucht Hoffnung bei uns. Wie könnt ihr es wagen?“ Die Kinderikonen brauchen keine Bewunderung – sondern ein konsequentes nachhaltiges Handeln von uns allen.

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