Unter dem Hashtag #zerowaste gibt es allein bei Instagram 8,6 Millionen Beiträge. Sie erklären, wie es Menschen schaffen können, ihren anfallenden Müll (Waste) möglichst auf null (Zero) zu reduzieren: Kosmetik selber machen, Lebensmittel durch Einwecken oder Trocknen oder Fermentieren haltbar machen, jede Menge Naturbürsten und so weiter. Aus der Idee, dass jedes Produkt unserer Konsumgesellschaft am Ende wieder in den Stoffkreislauf zurückgeführt wird, ist ein sehr ansehnlicher Lebensentwurf zum digitalen Teilen geworden. Was auffällt: Die Gesichter, die einem auf Instagram mit Mehrwegbechern oder Schrubbern in der Hand anlächeln, sind auffällig oft junge, westliche, privilegierte Personen um die 30 Jahre (siehe Interview). Sie inszenieren ihr ökologisches Bewusstsein nach dem Vorbild von Bea Johnson. Die US-Amerikanerin lebt seit 2008 mit ihrer Familie ein müllfreies Leben und ist mit ihrem Einweckglas, in dem sie den Restmüll eines ganzen Jahres zu Anschauungszwecken sammelt, als „Mutter des Zero-Waste-Lifestyles“ (CNN) beschrieben worden. Auf ihrem Instagram-Account zeigt Johnson ihren etwa 200.000 Follower:innen, wie ihr Zero-Waste-Abendessen aussieht oder welche Wurmkisten sie auf ihren weltweiten Vortragsreisen gefunden hat. Ihrem Vorbild folgten unzählige weitere Aktivistinnen hauptsächlich aus Europa und den USA, die ihre Erfahrungen auf Instagram, Tiktok, Youtube oder in Blogs weitererzählen.
Noch mit dem dekorativen Körbchen vor meinen Gemüsekisten frage ich mich: Ist die Idee des Zero Waste tatsächlich so weiß und privilegiert, wie es mir die Bilder in Zeitschriften und im Netz suggerieren?
„Der plastikfreie Supermarkt, der in den vergangenen Jahren als plastikfreie Innovation in den alternativen Stadtteilen von Berlin, London oder San Francisco gefeiert wurde, ist eigentlich nur eine Kopie der alten Souks und Basare, in denen man zwischen Casablanca und Kalkutta schon seit Jahrhunderten einkaufen geht.“ Das schreibt der Autor Mohamed Amjahid in seinem Buch „Der weiße Fleck. Eine Anleitung zu antirassistischem Denken“. Darin zeigt das Kind marokkanischer Eltern, dass in vielen Diskursen die Erfahrungen von nicht-weißen Menschen schlichtweg überhört und übersehen werden. Ein Beispiel dafür sei auch die Zero-Waste-Szene. „In Nordafrika, im Nahen Osten, Südasien, aber auch in Europa kannten die Menschen lange Zeit keine Einwegtragetaschen, Flaschen oder Wegwerfartikel aus Plastik.“ Die Plastiktüte sei beispielsweise zuerst im Kaufhaus Horten im rheinischen Neuss 1961 herausgegeben worden. Von da aus verbreitete sie sich erst in den Globalen Süden. Heute wehen die Tüten in den Wüsten Ägyptens, verfangen sich an den Küstenlinien des Indischen Ozeans. Dass seine Oma in Marokko auf dem Markt von Meknès schon so weit gewesen sei wie jene westlichen Großstadt-Hipster mit ihren mitgebrachten Gläsern und Tüten im Unverpackt-Laden, amüsiert Amjahid geradezu. Aber es ist ernst.
Es gibt immer mehr Stimmen im Nachhaltigkeits-Diskurs, die wie Amjahid die blinde Selbstbezogenheit der Wohlhabenden im Norden anprangern. Bewegungen wie „Fridays for Future“ oder „Extinction Rebellion“ wird vorgeworfen, ein homogener Haufen weißer Bürgerkinder zu sein, die hauptsächlich für ihre eigene Zukunft kämpfen. Der Protestruf „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“ klingt beispielsweise in den Ohren der Umweltwissenschaftlerin Imeh Ituen wie Hohn. Sie gehört zu „Black Earth“ – einem Klimagerechtigkeitskollektiv in Berlin –und fragt in öffentlichen Debatten häufig die FFF-Aktivist:innen: Von wessen Zukunft sprecht ihr? Die Zukunft werde dem Globalen Süden bereits seit Jahrzehnten geklaut. Die klimatischen und Ressourcen-Probleme, die der Hyperkonsumismus bereits jetzt vor allem für Schwarze, indigene Menschen und People of Colour (BIPoC) Menschen verursacht, würden im hiesigen Klimadiskurs viel zu wenig abgebildet. Stattdessen folgten die Argumente häufig dem Schema „kluger, helfender Norden versus dummen, gefährlichen Süden“. Diese eurozentristische Perspektive sei gefährlich. „Wir müssen endlich anfangen, global zu denken, und aufhören, Einzelne für ihr Zero-Waste-Heldentum zu feiern“, meint auch die Journalistin Yasmine C. M’Barek in einem Aufsatz in der taz.
Aber wie genau kann das im Bereich der Kreislaufwirtschaft aussehen? Das Problem der fehlenden Diversität ist dort bislang auffällig wenig diskutiert worden. Dabei ist das Prinzip, nichts zu verschwenden, ja geradezu eine Spezialität ärmerer Gesellschaften. „Bei meinen Großeltern auf dem Balkan könntest du lernen, was Zero Waste wirklich bedeutet“, sagte mir einer meiner Gärtnerkollegen aus der Kooperative, der serbische Wurzeln hat. „Der Opa schneidet sogar aus alten Kartoffelsäcken noch Topfkratzer. Da wird nichts weggeworfen.“ Auch andere Freunde mit Migrationshintergrund haben in Gesprächen sofort Rezepte der Resteverwertung parat: Aus alter Wurst kocht man in Osteuropa eine würzige Soljanka, alten Käse schmilzt man in der Schweiz zu Fondue, übriges Gemüse wirft man in China in einen Hotpot. Solche Gespräche sind wichtig. Natürlich sind das einerseits tolle Hinweise, was man aus Übriggebliebenem verwerten kann. Entscheidender ist aber, dass ich mir währenddessen darüber bewusst werde, welche Traditionen, welches Wissen, welche Perspektiven anderer Kulturen ich bislang im Bereich der Kreislaufwirtschaft nicht gesehen habe, die uns aber bei der Bewältigung der Klimakatastrophe helfen können. Es geht um eine Form des Ermächtigens marginalisierter Gruppen, die auf der Suche nach anderen Formen des Ressourcenumgangs auf Augenhöhe einbezogen werden können. Denn Zero Waste ist eine Kulturtechnik, die überall auf der Welt zu finden ist. In dieser Ausgabe des TrenntMagazins möchten wir deswegen unseren Blick bewusst über den Tellerrand heben und Menschen, Objekte und Ideen vorstellen, die bislang selten mit dem Etikett „Zero Waste“ versehen wurden.
Zero Waste ist eine Kulturtechnik, die überall auf der Welt zu finden ist.
Gleichzeitig gehört zu einer globalen Perspektive auf Kreislaufwirtschaft ein erweiterter Blick – nämlich nicht nur auf den individuellen Konsum. In einer Ausstellung hat das Museum der bildenden Künste in Leipzig vor einem Jahr das Thema Zero Waste mit internationalen Künstlern möglichst global und divers betrachtet. Dabei war auch eine Arbeit des Künstlers Raul Walch, der Videos von Plastikgewächshäusern in Südspanien zeigt, in denen die Tomaten für den europäischen Markt angebaut werden. In seinen eindrücklichen Videos wird deutlich: Selbst wenn wir Tomaten also vom Wochenmarkt ohne Plastikbeutel in den Weidenkorb legen, wird vermutlich irgendwo im Produktionsprozess Plastik eingesetzt. Zero Waste ist nicht durch die Konsumentscheidung einzelner Menschen zu erreichen – weder von weißen noch von nicht-weißen. Es braucht eine gemeinsame Vision, einen gemeinsamen Willen, eine gemeinsame Perspektive.